Familienrecht-Lexikon

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Aus der Rechtsprechung: Urteil vom 9. 2. 2011 – XII ZR 40/09
Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen im Rahmen des Zugewinnausgleichsverfahrens bei Scheidung

I. Praxisfortführung oder Praxisaufgabe

Bei der Bewertung einer Arztpraxis ist zu unterscheiden, ob zum Stichtag,- d.h. in der Regel der Zustellung des Ehescheidungsantrages-, absehbar ist, dass der Inhaber die Praxis (z.B. aus Altersgründen) aufgeben muss,dann ist der Liquidationswert Substanzwertmethode) maßgeblich, oder ob die Praxis fortgeführt wird. Im zweiten Fall wird die Praxis in nach der Rechtsprechung des BGH mit der modifizierten Ertragswertmethode bewertet.

Der Bewertung können grundsätzlich die Empfehlungen der Bundesärztekammer zugrunde gelegt werden. Trotz dieser eindeutigen Bewertungsmethodik sind in der konkreten Umsetzung im Zugewinnausgleichsverfahren mit ärztlicher oder zahnärztlicher Beteiligung einige Punkte immer wieder streitig.

Hierzu zählen:

  1. Die Ermittlung des Praxiswertes im Falle einer erschwerten Veräußerbarkeit (insbesondere in ländlichen Regionen).
  2. Die Berücksichtigungsfähigkeit von Ertragsteuern im Rahmen der Praxisbewertung.
  3. Die Ermittlung des individuell angemessenen Inhaberentgelts.

II. Das modifizierte Ertragswertverfahren

Die modifizierte Ertragswertmethode basiert auf dem klassischen Ertragswertverfahren, vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW). Es handelt sich um ein branchenübergreifendes Verfahren zur Unternehmensbewertung.

1. Das klassische Ertragswertverfahren

Das Bewertungsprinzip des klassischen Ertragswertverfahrens besteht in der Kapitalisierung (Abzinsung) der prognostizierten künftigen finanziellen Überschüsse des zu bewertenden Unternehmens auf den Bewertungsstichtag. Hierbei wird von den Vergangenheitszahlen des Unternehmens ausgegangen. Die werden zunächst um nicht fortführbare Bestandteile bereinigt. Sodann werden in mit Kenntnis der bereits im Unternehmen angelegten Entwicklungen die künftig erzielbaren Überschüsse prognostiziert. Um diese im Wege der Kapitalisierung in einen Unternehmenswert umrechnen zu können, bedarf es der Festlegung des so genannten Kapitalisierungszinssatzes, der für die Abzinsung der prognostizierten Betriebserträge benötigt wird . Er ist neben den prognostizierten finanziellen Überschüssen der entscheidende Bewertungsparameter und wird in der Regel durch einen Sachverständigen ermittelt.

II. Modifiziertes Ertragswertverfahren

Wenn der Bewertungsauftrag die Bewertung einer inhabergeprägten Einrichtung vorsieht (z.B. einer Arztpraxis), weichen die Bewertungsergebnisse häufig weit von den tatsächlichen Marktgegebenheiten ab. Denn das klassische Ertragswertverfahren, das auf den Substanzwert abstellt, versagt in der Regel bei der angemessenen Berücksichtigung des immateriellen Wertes (Goodwills) einer Arztpraxis.

Maßgebend für die Höhe des Goodwills sind z.B. Standort und Lage der Praxis, ihr Ruf, ihr Patientenstamm, und die Konkurrenzsituation. Der Geschäftserfolg hängt in einer freiberuflichen Praxis – anders als bei gewerblichen Unternehmen – in deutlich größerem Umfang von der Person des Inhabers ab.

Im Rahmen der modifizierten Ertragswertmethode wird ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum zwischen drei und fünf Jahren berücksichtigt. Nur die Überschüsse dieses begrenzten Kapitalisierungszeitraumes werden im Rahmen des modifizierten Ertragswertverfahrens auf den Bewertungsstichtag abgezinst. Wichtigster technischer Bewertungsparameter ist im modifizierten Ertragswertverfahren die Länge des Kapitalisierungszeitraumes.

Gemäß der zuvor beschriebenen methodischen Grundlagen handelt es sich hierbei um den stichtagsbezogenen wirtschaftlichen Wert der künftigen Unternehmensnutzung. Der Ertragswert kann als „innerer Wert“ der Praxis aufgefasst werden.

Auch Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung orientieren sich in ihren „Hinweisen zur Bewertung von Arztpraxen“ an der Ertragswertmethode.

Streitpunkte:

1. Problematische Veräußerung der Praxis

Sofern Ertragswert und Verkehrswert voneinander abweichen kommt es regelmäßig zu Streitigkeiten. Verfahrensbeteiligte eines Scheidungsverfahrens mit Praxen in ländlicher Lage führen im Verfahren regelmäßig aus, die Praxis sei zum Bewertungsstichtag unveräußerlich gewesen, ein Praxiswert( Ertragswert) sei mit dem Verkehrswert in Einklang zu bringen und mithin nicht in das Endvermögen einzustellen.

Der Ertragswert ist definiert als der Barwert der zukünftigen Praxisüberschüsse. Eine Praxis, die mit betriebswirtschaftlichem Gewinn arbeitet, verfügt also stets und unabhängig von einem Veräußerungsvorgang über einen Ertragswert, man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „inneren Praxiswert“.

Im Fall einer Praxisveräußerung manifestiert sich der Marktwert der Praxis, der auch als Verkehrswert oder „äußerer Praxiswert“ bezeichnet wird.

Höchstrichterlich gefordert wird, dass die Bewertungsmethode darauf auszurichten sei, einen Praxiswert zu ermitteln, der zum Bewertungsstichtag unter der fiktiven Annahme eines Nachfragers am Markt erzielbar wäre. Praxen mit vergleichbarem Ertragswert (innerem Praxiswert) können also je nach Praxislage deutlich unterschiedliche Verkehrswerte aufweisen. Verkehrswert und Ertragswert müssen also nicht in jedem Fall identisch seien.

Hieraus ergibt sich, dass ein mittels der BGH-seitig bevorzugten modifizierten Ertragswertmethode ermittelter Ertragswert einer Praxis im Zugewinnausgleichsverfahren daraufhin zu überprüfen ist, ob er zum Bewertungsstichtag in voller Höhe realisierbar gewesen wäre. Falls das nicht der Fall wäre, wäre vom Ertragswert ein Abschlag vorzunehmen.

2. Berücksichtigung von Ertragssteuern

Welche Rolle spielen einkommensteuerliche Aspekte bei der Praxisbewertung nach der modifizierten Ertragswertmethode?

Die latenten Ertragsteuern sind innerhalb modifizierten Ertragswertmethode bei der Praxisbewertung abzuziehen.

3. Abzug eines individuellen Unternehmerlohnes

Im Rahmen der Praxisbewertung ist der Inhaberlohn anhand der individuellen Verhältnisse des Praxisinhabers entsprechend zu bemessen. Dabei ist insbesondere die berufliche Erfahrung des Praxisinhabers, dessen unternehmerische Verantwortung und seine Kosten für eine angemessene soziale Absicherung zu berücksichtigen. Der BGH betont die Notwendigkeit, einen um den konkret angemessenen Inhaberlohn bereinigten Wert zu berücksichtigen. Vielfach wird als Referenzgröße das Gehalt eines angestellten Krankenhausarztes nach TV-Ärzte/VKA (früher BAT) als Vergleichsentgelt und Ausgangsbasis für die Ermittlung des konkret angemessenen Inhaberlohnes heranzuziehen. das Gehalt eines angestellten Krankenhausarztes nach TV-Ärzte/VKA (früher BAT) als Vergleichsentgelt und Ausgangsbasis für die Ermittlung des konkret angemessenen Inhaberlohnes heranzuziehen. Das Monatsgehalt z.B. eines Oberarztes in der Entgeltgruppe III (Stufe 2) beträgt ab dem 1.1.2014 bspw. 7041,76 Euro.

Das gewählte tarifliche Vergleichsentgelt kann reduziert oder beaufschlagt werden. Der Inhaberlohn ist abschließend daraufhin zu untersuchen, ob in ihm die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung berücksichtigt sind. Dabei können zu dem zuvor ermittelten Betrag die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung hinzu addiert werden. Einem nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigten Unterhaltspflichtigen sind laut BGH des Weiteren für die primäre Altersversorgung ein Betrag von etwa 20% und für die sekundäre Altersversorgung weitere 4% des Bruttoeinkommens für eine zusätzliche Altersversorgung zuzubilligen.

Fazit

Sofern Sie nicht ehevertraglich oder durch Änderung des Güterstandes die Arztpraxis aus dem Zugewinnausgleich herausgenommen haben, muss die Praxis nach der modifizierten Ertragswertmethode bewertet werden. Der für einen durchschnittlichen Zeitraum von drei bis fünf Jahren ermittelte Substanzwert ist sodann um den goowill zu erhöhen und um ein individuell zu ermittelndes Inhaberentgelt zu reduzieren. Auch latente Ertragssteuern können bei der Bewertung in Abzug gebracht werden.